Emergency Room

6. November 2014

Liebe Leserschaft, wir haben Ihnen ja versprochen, spannende Einblicke in unsere Tourneealltag zu gewähren und mit Ihnen im fernen China gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen. Dabei unternehmen wir wirklich jegliche Anstrengung um Ihnen ein abwechslungsreiches Programm zu bieten. Nur deshalb – und nicht etwa weil sich der Autor dieses Blogs nach dem Abendessen in Ma’anshan mit höllischen Magenkrämpfen und weiteren unschönen Folgen etwa zwangsweise dorthin begeben musste – haben wir gleich zwei Ausflüge in chinesische Provinzkrankenhäuser unternommen.

„Von außen betrachtet machte das „people hospital“ in Ningbo einen recht unscheinbaren Eindruck, doch was sich hinter dem klebrigen Plastik-Lamellenvorhang am Haupteingang zur Notaufnahme verbarg, glich eher einem Freizeitpark. Nachdem man sich am Eingang eine (Kranken)Karte gekauft hat, konnte man sich einen ersten Überblick über die verschiedenen medizinischen Angebote verschaffen. Wir entschieden uns für einen Stand mit zwei Krankenschwestern, adrett mit Häubchen, Mundschutz und Kittel gekleidet. Die eine steckte mir gleich das Fieberthermometer ins Ohr, die andere drückte meinen Arm in eine Pulsmesser-Manschette. Mit den Werten wurden wir dann in das Besprechungszimmer des diensthabenden Arztes geschickt. Nun genießt man ja bei Untersuchungen in Deutschland Privatsphäre und die ungeteilte Aufmerksamkeit des fürsorglich dreinblickenden Onkel Doktors – in China ist das allerdings nicht so! Hinter mir drängten schniefende und wehklagende Chinesen in das enge Zimmer und wedelte mit allerlei Zetteln um mich herum, während sich der junge Mediziner in einer ersten Anamnese versuchte. Es half alles nichts, eine Blutuntersuchung musste her. Zeitgleich wurden mir aber schon einmal Medikamente verschrieben ohne die Ergebnisse überhaupt abzuwarten. Über einen langen Korridor ging es nun vorbei an Krankenzimmern, in denen sich Menschen zu lauter chinesischer Musik vor Schmerz auf den Pritschen wälzten, hoch in den ersten Stock. Ist man in Deutschland die sterile Umgebung eines Laborraums gewohnt, legt man zur Blutabnahme in China einfach den Arm auf den Tresen eines kioskähnlichen Raumes und bekommt eine Kanüle in den Arm gejagt. Kaum ist die Ampulle voll, ist der nächste an der Reihe und man wird energisch vom Holzhocker vertrieben. Weiter geht’s zur nächsten Station, dem „Infusionroom“. Auch hier möchte man gerne wieder Vergleiche mit der deutschen Behandlung ziehen, die meist liegend in ruhiger Umgebung geschieht. Die Stimmung und Lautstärke in dem riesigen Saal hingegen erinnerte eher an eine überfüllte Bahnhofshalle. Dutzende Chinesen saßen in langen Stuhlreihen mit Infusionsnadeln im Arm, telefonierten, machten Hausaufgaben oder verspeisten Fastfood. Wie beim Kölner Einwohnermeldeamt erschien dann auf einer Anzeigentafel meine Identifikationsnummer und ich musste mich an einem Schalter melden. Während neben mir ein kleines Mädchen Todesängste ausstehen musste und von den Eltern beim Setzen der Infusionsnadel festgehalten und angebrüllt wurde, war es nun an der Zeit, mich gedanklich auf einen anderen Planeten zu schießen. Flüssigkeitsmangel sei Dank, ging das dann auch recht schnell, sodass ich das Anklemmen der Infusion seelenruhig über mich ergehen lassen konnte. Mit dem Gefühl, zwischen den ganzen rotzenden und keuschenden Chinesen inmitten einer Petrieschale gelandet zu sein, durfte ich dann sechs Stunden lang in diesem Ambiente bis kurz vor Mitternacht verbringen und „genesen“. Was nun genau der Auslöser war ist von Übersetzung zu Übersetzung verschieden, Kränze und Kondulenzschreiben nimmt unser künstlerischen Betriebsbüro jedenfalls gerne entgegen.“

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