… wieder zu Hause

6. November 2012

Nach 13 Tagen und sechs euphorisch gefeierten Konzerten, einem abgesagten Konzert in Charlottesville, zwei Übernachtungen ohne Strom und warmes Wasser im von Sandy gebeutelten Manhattan, nach vielen Verzögerungen bei An- und Abreisen, nach herbstlichem Baden im Pazifik des sonnigen Kaliforniens ist das Orchester heute wieder in Europa gelandet. Jedem der Teilnehmenden wird es schwer fallen, sich an eine Tournee mit ähnlich vielen Auf-und-Abs zu erinnern.

Eine fast zweiwöchige Tournee erfordert unter diesen Bedingungen natürlich Besonderes von den Musikern, die nach anstrengenden Tagen mit teilweise 9-stündigen Busfahrten abends noch auf die Bühne gegangen sind. Der große Erfolg der Konzerte spricht dabei natürlich für die Musiker, – gleichzeitig zeigt es aber auch die phantastische Einstellung aller Beteiligten.

Der Boston Globe schrieb: „Why it had not previously played in Boston remained as much a mystery after the concert as before.“,

in New York sagte eine Zuschauerin nach der Zugabe (Bach Air): „Wow, they nailed that one!“,

der Veranstalter aus San Diego schrieb: „We had a wonderful concert here and great time with them. Lots of praise from our audience too. This is definitely an amazing orchestra to be able to split up like that and maintain their high standards anyway. I hope they had a good time here and could relax a bit after Sandy. Thanks for all your efforts to send them our way.“

und aus LA kam: „They were fantastic!! Everyone loved them – they received a standing ovation after the first half, & 2 more at the end.  Everyone was thrilled!“
Am Anfang der Reise habe ich die Frage aufgegriffen, ob solch ein Aufwand für eine Konzertreise dieser Art wirklich gerechtfertigt ist. Natürlich kommt die Frage wieder auf, wenn man in einer Notsituation wie bei einem Hurrikan festsitzt, – insbesondere wenn mit der Entscheidung für eine Weiterfahrt per Bus auch die Frage nach der Sicherheit ernsthaft in Erwägung gezogen werden muss. Auch die Frage der Sinnhaftigkeit eines Konzertes nach übermäßig langen Reisen hat sich sicherlich der eine oder andere der Musiker gestellt, – wenn man dann aber erlebt, wie begeistert das Ensemble empfangen und verabschiedet wurde, beantwortet sich diese Frage von selbst.
Ich möchte daher zum Abschluss all denen danken, die zum Erfolg dieser außergewöhnlichen Tournee beigetragen haben.
(Jochen Schäfsmeier)

Auf dem Weg nach Hampton

31. Oktober 2012

Selten wurde ein Bus morgens um 7:00 Uhr von dem Orchester so willkommen geheißen, wie heute: Wir konnten New York verlassen und können nun endlich die Tournee so fortsetzen, wie ursprünglich geplant: Heute abend noch Hampton, dann San Diego, Berkeley und Los Angeles. Zurück lassen wir mit Manhattan ein Stadtviertel, das wohl noch länger zumindest teilweise vom Stromausfall betroffen sein wird.

Vor gut 24 Stunden, am gestrigen Morgen, konnten wir die ersten Schäden sehen, die zum Glück in unserer Gegend recht gering waren. Allerdings waren in den sonst um diese Zeit überfüllten Straßen nur vereinzelt Autos zu sehen: Zumeist waren es dann Polizei, Feuerwehrautos oder Ambulanzen, – oder die unermüdlichen typischen Yellow Cabs.

 

Gegen Abend, nachdem Gewissheit war, dass wir noch eine weitere Nacht in New York bleiben werden, zeigte sich die Stadt mit zwei Gesichtern: Während am Madison Square eigentlich nur die Hilfsfahrzege Zeugnis davon gaben, dass etwas passiert war und alles ansonsten in heller Beleuchtung der Katastrophe trotze, waren in direkter Nachbarschaft die Hochhäuser stockdunkel.

(Jochen Schäfsmeier)

Das Orchester ist immer noch in New York und auf Grund der katastrophalen Lage in New Jersey wird es auch für eine weitere Nacht noch im Hotel bleiben. Gestern abend sah es vor dem Sturm so aus, als ob wir den Zugausfall nach Charlottesville durch das Reisen mit einem Charterbus ausgleichen können. Dann um 20:30 Uhr die Nachricht, dass aus Gründen von Höherer Gewalt das Konzert in Charlottesville abgesagt wurde. Zeitgleich fiel in dem Hotel und der Nachbarschaft der Strom aus. Das Orchester verbrachte so einen gemütlichen Abend in der Lobby beim heimeligen Schein von LED-Taschenlampen, da Kerzen zu gefährlich waren. Alle waren aber guter Dinge, dass wir heute zumindest New York verlassen können.

Heute morgen um 8:00 Uhr sollte der Strom wiederkommen, was sich allerdings nicht einstellte, – genauso wie es mehr und mehr zur Gewissheit wurde, dass es der Bus nicht zu uns schaffen wird. So haben wir in dem Hotel wieder eingecheckt, – allerdings ist das ganze Hotel ohne Strom und Warmes Wasser, und gleichzeitig sind die meisten Zimmer ohne Tageslicht, da sie direkt auf eine Brandmauer zeigen. Nach dem Warten auf den Bus, was in der Lobby noch mit Kartenspiel verbracht wurde und mit der Aufsicht auf eine weitere Nacht im Hotel ist die bisher sehr tapfer ertragene Situation nun doch ein wenig anstrengend. Die Laune ist bisher den Umständen entsprechend sehr gut, und wir alle tun unser Bestes, gute Moral zu beweisen.

Jeder versucht, irgendwo eine Steckdose zu finden, wo das Telefon und der Rechner aufgeladen werden kann, – aber da die ganze Nachbarschaft vom Stromausfall betroffen ist, ist es noch nicht richtig gelungen. So warten wir nun auf den nächsten Tag in der Hoffnung, morgen um 7:00 Uhr mit dem Bus nach Hampton zu fahren, um nach gut sieben Stunden Fahrtzeit zumindest das andere geplante Hotel in Virginia zu spielen.

Natürlich sind wir froh, dass der Sturm zumindest bei uns nicht so mächtig zugeschlagen hat. Wir wissen, dass viele nicht so glücklich sind und noch schwierigeren Umständen ausgesetzt sind (im Hotel sind auch einige untergebracht, die evakuiert wurden). Wir freuen uns auf eine warme Dusche und Elektrizität und hoffen, dass es morgen sein wird, dass wir all das in Hampton erleben dürfen.

(Jochen Schäfsmeier)

Boston, Massachusetts

27. Oktober 2012

Heute Abend wird Concerto Köln seine Premiere beim Boston Early Musik Festival geben und mit diesem Konzert den ersten von insgesamt sieben Auftritten geben (http://www.bemf.org/pages/concerts/12-13_boston/concerto_koln.htm). Das Ensemble hat gestern beim Goethe Institut proben dürfen und wird bis heute Abend auch den Jetlag im Griff haben.

Nicht zum ersten Mal geht mir der ungeheure Aufwand durch den Kopf, den solch eine Tournee mit sich bringt:

14 Musiker haben einen Termin bei der US-Botschaft gehabt um ein Visum zu beantragen, Hotels wurden gebucht, Probenräume und Leihinstrumente wurden organisiert, Flugtickets für über 20.000 € gekauft, die Musiker sind aus Bruneck, Hamburg, Berlin, Amsterdam und Köln auf vier verschiedenen Routen nach Boston geflogen, ich habe gerade meine 404. Mail zu dieser Konzertreise erhalten („Ehrentickets für das morgige Konzert in New York“) und nun sind es nur noch wenige Stunden, bis das Ergebnis zum ersten Mal dem Publikum vorgestellt werden kann.

 

All diese Vorarbeit und ungeheuren Investitionen spielen in dem Moment keine Rolle mehr, – die Anstrengungen dürfen sich nicht auf das Konzert übertragen, sondern nur der Fakt, dass 15 Musiker 5714,817 km gereist sind, um für das anwesende Publikum zu spielen. Natürlich ist es bei einem Ensemble wie Concerto Köln, das mehr reist, als in Köln zu sein ein Stück weit Normalität geworden. Trotzdem bleibt es was jede Konzertreise ist: Etwas ganz besonderes und wenn man in Städten wie z.B. in Boston zu Gast ist, erfüllt es einen mit Dankbarkeit, so etwas erleben zu dürfen: Eine neue Stadt und neue Menschen kennen zu lernen und vor allem, vor einem neuen Publikum spielen zu dürfen.

 

Und was für den einen Boston ist, ist für den anderen Frutillar oder Amsterdam oder Zeven oder Pisa. Jeder Konzertort und jedes Publikum hinterlässt einen Eindruck und so ist es an uns, auch einen Eindruck zu hinterlassen. Dann war es den Aufwand wert und 404 Mails sind gar nicht mehr so viel …

(Jochen Schäfsmeier)